Anna R.
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Donnerstag, 15. Juli 2021
Wenn ich nichts für die Uni machen muss, sitze ich seit ein paar Monaten oft an meiner neuen Nähmaschine. Gerade versuche ich, mir damit ein Kleid zu nähen. Ich habe zwar eine Schnittvorlage und ein Youtube-Tutorial, das mir alles Schritt für Schritt erklärt. Trotzdem sind manche Nähte ganz schön schwierig. Und: Fast Fashion, also schnell gemachte Billigware, ist das, was ich da mache, sicher nicht. Es braucht viel Zeit, Geduld und vor allem Konzentration.
Weil ich jetzt selbst nähe, hab ich einen anderen Blick auf die Kleidung in meinem Schrank bekommen. Ich sehe jetzt die komplizierten Nähte und Details, für die ich noch monatelange Übung brauche. Natürlich weiß ich, dass die Menschen, die meine Kleidung genäht haben, Profis sind. Sie bekommen das schneller hin als ich. Ich weiß aber auch, dass viele Teile Fast Fashion sind, also von großen Ketten kommen, die in Billiglohnländern produzieren. Die Arbeiter dort bekommen für jedes Teil nur ein paar Cents und können kaum davon leben. Das finde ich falsch. Auf Kleidung kann ich nicht verzichten, ich trage sie jeden Tag. Und ich will, dass die Menschen, die sie für mich herstellen, dafür einen angemessenen Lohn bekommen. Mir ist es deshalb wichtig, dass ich auf Fast Fashion verzichte. Ich kaufe stattdessen ausgewählte Teile von fairen Marken oder shoppe second hand. Und ich pflege meine Kleider, um sie so lange wie möglich tragen zu können. Weil ich weiß, welche Arbeit darin steckt. Und die verdient Wertschätzung und einen Lohn, von dem man gut leben kann.
Anna R.
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Dienstag, 13. Juli 2021
Mein Freund hat einen Opa, der mehr und mehr dement wird. Früher hat er gestrotzt vor Energie und sich immer am wohlsten gefühlt, wenn viel los war. Aber seit ein paar Monaten baut er richtig ab. Er kann sich kaum noch an etwas erinnern; manchmal nicht einmal an die Menschen um ihn herum. Ich kenne viele Leute, die sagen, dass sie, wenn sie dement würden, nicht weiterleben wollten. Das kann ich verstehen. Demenz ist auch für mich so beängstigend, weil fast mein ganzes Leben aus Kopfarbeit besteht. In der Schule, der Uni und auch in meinem künftigen Beruf geht es fast nur darum, mit dem Kopf zu arbeiten. Also keine körperliche, sondern mehr geistige Arbeit zu leisten. Wer diese Fähigkeit verliert, ist gesellschaftlich schnell außen vor. Ich glaube aber, dass ein Leben mit einer Einschränkung wie Demenz genauso wertvoll ist wie jedes andere. Und auch, dass es lebenswert ist. Für den Opa meines Freundes ist es einerseits gerade richtig schwer. Er weiß ja, was mit ihm passiert und kann es nicht aufhalten. Andererseits gibt es immer noch Momente, in denen er glücklich ist und Spaß hat. Das sind vor allem die Tage, an denen seine Enkel ihn besuchen. Mit ihm spazieren gehen, singen oder „Mensch ärgere Dich nicht“ spielen. Und ihm einfach durch ihre Gesellschaft ein gutes Gefühl geben. Durch sie bleibt sein Leben so reich und glücklich wie eben möglich.
Anna R.
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Dienstag, 15. Juni 2021
Ich lebe mit meinem Freund zusammen und wir teilen uns die Hausarbeit untereinander auf. Uns ist es wichtig, dass wir beide ungefähr gleich viel machen. Deshalb fand ich einen Zeitungsartikel spannend, den ich vor kurzem gelesen habe. Über sogenannten „Mikrostress“. Damit wurde der Stress bezeichnet, der entsteht, weil man an viele kleine, aber wichtige Details denken muss. In dem Artikel ging es darum, dass in Familien mit Kindern oft Mütter allein die Verantwortung dafür tragen, dass alles rund läuft. Also zum Beispiel an den Arzttermin denken oder daran, dass im Stundenplan Sport steht und der Turnbeutel mitmuss. Eigentlich sind das Kleinigkeiten. Wenn man sie einzeln betrachtet, wirkt es fast lächerlich, dabei von Stress zu reden. Aber wenn sich Paare diese gedankliche Arbeit nicht aufteilen, dann kann es schon stressig werden. Mein Freund und ich haben noch keine Kinder. Aber auch wir müssen ja diese gedankliche Arbeit leisten und an vieles denken. Wir versuchen deshalb, auch diesen Stress fair zu verteilen, indem es klare Zuständigkeiten gibt: Ich kümmere mich zum Beispiel um die Finanzen und den Papierkram. Weil das viel Verantwortung ist, behält er mehrere andere Dinge im Blick: Er sorgt dafür, dass wir keinen Geburtstag vergessen und dass immer frische Wäsche im Schrank liegt. Es ist ok, wenn einer mal mehr macht oder eine Zeit lang den Überblick behalten muss. Aber insgesamt wollen wir, dass es fair bleibt. Das tut uns gut und unserer Beziehung.
Anna R.
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Mittwoch, 05. Mai 2021
Denkt Ihr, dass man vom Aussehen einer Person – von ihrem Alter, ihrer Hautfarbe oder ihrem Körpertyp – auf ihren Charakter oder ihre Fähigkeiten schließen kann? Vielleicht geht es Euch wie mir und Ihr seid überzeugt, dass das nicht geht. Mir ist es wichtig, dass ich allen Menschen gleich begegne. Klingt simpel – ist es aber nicht. Das hat mir ein Online-Test der Uni Harvard gezeigt. Er heißt: Impliziter Assoziationstest. Mir werden dabei zum Beispiel Bilder von Menschen gezeigt, die verschiedene Hautfarben oder Körpertypen haben. Und es wird getestet, ob ich unbewusst eher positive oder negative Dinge mit ihnen verbinde. Das spannende ist, dass das oft überhaupt nicht mit meiner bewussten Einstellung übereinstimmt. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass die Körperform von Menschen rein gar nichts mit ihrem Charakter zu tun hat, dass sie nichts darüber aussagt, wie intelligent, ja nicht einmal wie sportlich jemand ist. Trotzdem hat der Test ergeben, dass ich dünne gegenüber mehrgewichtigen Menschen stark bevorzuge. Das hat mich wirklich schockiert. Denn genau diese unbewussten Vorurteile wirken sich darauf aus, wie ich mit anderen umgehe. Es kann also sein, dass ich mehrgewichtige Menschen oder Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe unbewusst unfair behandle. Weil ich das nicht will, muss ich mich im Alltag immer wieder hinterfragen: „Warum ist mir diese Person unsympathisch?“ „Warum reagiere ich jetzt ablehnend?“ Nur so kann ich diese Vorurteile durchbrechen und vielleicht wirklich jedem Menschen gerecht werden.
Anna R.
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Dienstag, 04. Mai 2021
Seit 2 Wochen liegt ein großes Puzzle in meinem Wohnzimmer. Über 1000 Teile. Jedes Teil habe ich einzeln in die Hand genommen und genau angeschaut. Ich kenne jedes Detail des großen Bildes. Seit gestern ist es fertig und heute habe ich es wieder kaputt gemacht. Schon schräg oder? Eine richtig sinnlose Beschäftigung. Aber eigentlich ist es genau das, was ich am Puzzlen so mag: Dass es zu nichts gut ist. 
In meiner Ausbildung und bei der Arbeit geht es darum, immer produktiv zu sein. Immer etwas zu leisten, das einen Zweck erfüllt. Und genau diesen Stress mache ich mir oft auch noch in meiner Freizeit. Ich versuche, anspruchsvolle Literatur zu lesen, statt einem Buch, das mich einfach gut unterhält. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich den halben Sonntag über nur meine Lieblingsserie anschaue. Ich mache mir sogar Gedanken, wie ich besonders effektiv entspanne, damit ich anschließend wieder alles geben kann.
Ganz ohne Leistung geht es nicht, das ist mir klar. Ich will ja auch lernen und weiterkommen. Trotzdem glaube ich, dass ich diese Logik auch mal durchbrechen darf. Menschsein ist für mich mehr als Leistung. Dazu gehören auch die Momente, in denen ich mich einfach mal fallen lassen kann und nichts erreichen muss. Für mich ist das Zeit, die ich mit meinem Freund verbringe. Ein Tag an dem ich zum hundertsten Mal Harry Potter lese. Oder an einem Puzzle bastle, nur um es anschließend wieder kaputt zu machen.
Anna R.
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Samstag, 24. April 2021
Noch ein Jahr – dann sind mein Freund und ich mit dem Studium fertig. Und im Moment haben wir noch keine Ahnung, was danach kommt! Mein Freund ist da tiefenentspannt: „Das lassen wir einfach auf uns zukommen“ sagt er immer. Während ich schon wieder panisch überlege, in welchem Bereich ich einen Job finden könnte. Und ob ich darin wohl gut wäre. Und wie das überhaupt alles laufen soll, wenn wir finanziell auf eigenen Beinen stehen müssen. Manchmal macht mir die Ungewissheit so zu schaffen, dass ich am liebsten schon jetzt einen genauen Plan machen würde. Ich ertappe mich dabei, wie ich es im Kopf ausrechne: „Wenn ich diesen Job bekomme, würde ich so viel verdienen und nach 5 Jahren würde es dann reichen, um…“ Aber ich weiß natürlich, dass es so nicht läuft. Ich kann das alles nicht vorhersehen. Sicher, ein wenig Planung schadet nicht. Und auch wenn mein Freund mit seiner Einstellung bisher ganz gut gefahren ist: ich könnte das nicht. Ein bisschen Gelassenheit kann ich mir aber trotzdem bei ihm abschauen. Wenn mein Plan nicht aufgeht, ist das kein Grund zur Panik. Es gibt ja nicht nur einen Weg für mein weiteres Leben. Und wenn ich mich jetzt für einen Beruf entscheide, heißt das auch nicht, dass ich nie wieder was anderes machen kann. Wäre ja auch ganz schön langweilig, jetzt schon zu entscheiden, was ich in 10 Jahren machen möchte. Ich kann mir selbst und meinen Fähigkeiten vertrauen. Und außerdem bin ich bei all dem nicht auf mich allein gestellt. Ich habe Familie und Freunde, die den Weg mit mir gehen. Und wenn ich mal scheitere, weiß ich: Auf sie kann ich mich verlassen.
Anna R.
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Freitag, 26. März 2021
Mein Freund hat mir von einer Situation erzählt, die er erlebt hat. Sein Team bei der Arbeit hatte eine Besprechung und eine Frau von außerhalb ist dazugekommen. Gleich zu Anfang hat sie erklärt, dass sie manchmal, wenn ihr jemand widerspricht oder sie sich überfordert fühlt, anfängt zu weinen. Sie kann dann einfach nicht anders. Ihr kommen die Tränen, auch wenn sie weiß, dass es eigentlich keinen wirklichen Grund dazu gibt. Das ist so, seit sie ihr erstes Kind bekommen hat. Sie braucht dann einfach ein paar Minuten, um sich zu beruhigen und alles ist wieder ok. Tatsächlich ist es dann in der Sitzung auch passiert, dass ihr die Tränen kamen. Normalerweise wäre so eine Situation sicher etwas awkward. Alle hätten keine Ahnung, was los ist und wüssten nicht, wie sie reagieren sollen. Vielleicht würden manche sie auch nicht mehr so ernst nehmen. Aber weil sie so offen damit umgegangen ist, war alles cool. Ich finde das total stark. Ich hab mir gedacht: Wenn es mir so gehen würde wie der Frau, hätte ich mich vielleicht zurückgezogen. Ich glaube, ich hätte viel zu viel Angst vor solchen Situationen und würde mir deshalb von vornherein, einen Job suchen, bei dem ich weniger mit Menschen zu tun habe. Aber diese Frau lässt sich davon nicht aufhalten. Und indem sie so offen mit dieser Schwäche umgeht, nimmt sie der Situation ihren Schrecken. Ich finde das super: Die eigenen Schwächen nicht zu verstecken. Ich muss mich nicht für etwas schämen, für das ich nichts kann. Stattdessen kann ich selbstbewusst damit leben.
Anna R.
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Mittwoch, 24. März 2021
Vor ein paar Wochen habe ich mich auf einen Job beworben. Nur ein kleiner Job, nicht viele Stunden. Als ich die Ausschreibung gelesen hab, dachte ich sofort: Das ist genau mein Ding! Genau meine Themen, das perfekte Team… den muss ich haben!
Tja und dann habe ich eine Absage bekommen. Natürlich weiß ich, dass das passieren kann. So ist es ja immer, wenn man sich irgendwo bewirbt, und sicher werde ich noch viele weitere Absagen im Leben bekommen. Trotzdem hat mich das getroffen. Ich hab mich gefragt, was mit mir nicht stimmt. Formal habe ich alle Qualifikationen erfüllt, also was hat gefehlt? Hab ich zu wenig Erfahrung? Hat ihnen mein Anschreiben nicht gefallen? Vielleicht muss ich noch viel mehr tun und besser werden, um Erfolg zu haben. Aber wie? Reicht es dann überhaupt je für einen anderen Job?
Natürlich ist das alles Quatsch. Ja, vielleicht hat ihnen etwas gefehlt oder nicht gefallen. Aber vielleicht haben sich auch einfach viele Menschen beworben und sie konnten eben nicht alle nehmen. Und selbst wenn sie sich bewusst gegen mich entschieden haben: Das heißt noch lange nicht, dass mit mir etwas nicht stimmt! Es hat ein bisschen gedauert, bis ich das eingesehen habe. Ich hab darüber geredet – mit meinem Freund, mit Freunden und mit meiner Familie; das hat geholfen! Sie alle geben mir Rückhalt und helfen mir so, mit Ablehnung umzugehen. Dass sie hinter mir stehen, zeigt mir: Ich bin wertvoll! Unabhängig von beruflichem Erfolg. Indem ich das verinnerliche, kann ich mir auch selbst ein Rückhalt sein. Und fest in mich und meine Fähigkeiten vertrauen.
Anna R.
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Montag, 22. März 2021
Im Netz bekomme ich mit, dass in letzter Zeit immer mehr über „Catcalling“ diskutiert wird. Mit dem Begriff „Catcalling“ wird verbale sexuelle Belästigung besonders gegenüber Frauen in der Öffentlichkeit bezeichnet. Also zum Beispiel, wenn jemand mir auf der Straße anzügliche Dinge hinterherruft oder mir hinterher pfeift und damit dafür sorgt, dass ich mich unwohl fühle. Es ist nicht strafbar, aber aus eigener Erfahrung weiß ich: Catcalling ist nicht harmlos. Ich erinnere mich an verschiedene Situationen, in denen mir so etwas passiert ist. Als ich zum Beispiel einmal abends in einem fast leeren Zug gefahren bin und sich plötzlich ein Mann zu mir gesetzt und meinen Körper kommentiert hat. Da habe ich gemerkt: Das hat nichts mit dem harmlosen Versuch zu tun, mich kennen zu lernen oder etwas Nettes zu sagen. Er hat es genossen, dass ich mich unwohl fühle. Und ich hab mich entmenschlicht gefühlt. Weil er meinen Körper offensichtlich zum Objekt seiner Phantasien gemacht hat. Ohne dass ich dem zugestimmt habe. Und sogar obwohl ich eindeutig gezeigt habe, dass ich das nicht will.
Ich versuche, solchen Situationen zu entgehen, indem ich zum Beispiel nachts nicht alleine nach Hause gehe. Und wenn es doch passiert, versuche ich, andere Leute miteinzubeziehen. Trotzdem kann das nicht die Lösung sein. Deshalb finde ich es gut, wenn jetzt ein Bewusstsein dafür entsteht, was verbale sexuelle Belästigung anrichtet. Das hat für mich auch mit der Menschenwürde zu tun. Kein Mensch hat es verdient, dass andere so respektlos mit ihm umgehen.
Anna R.
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Dienstag, 23. Februar 2021
Manche Sprüche kann ich echt nicht mehr hören. „Das ist keine Arbeit für eine Frau.“ ist zum Beispiel so ein Spruch. Ein Bekannter von mir wollte damit vor kurzem ausdrücken, dass Frauen seiner Meinung nach nicht für die Arbeit auf dem Bau geeignet sind. Er hat über seinen eigenen Job auf dem Bau geredet und meint: Das schwere Schuften und Heben, das schaffen Frauen nicht. Die sind eher für sanftere Arbeiten gemacht. So ein Schwachsinn! Ich glaube, dass Frauen alles können. Und das sehe ich auch überall. In einer Doku habe ich eine Zimmerin gesehen. Sie arbeitet wirklich schwer auf dem Bau. Und sie liebt ihre Arbeit. Frauen, die in der Pflege arbeiten, brauchen dort wahnsinnige Kraft, um ihre Patienten bewegen zu können. Frauen machen Hochleistungssport im Gewichtheben oder Kugelstoßen. Und trotzdem sollen sie für bestimmte Arbeiten nicht geeignet sein? Natürlich kann oder will das nicht jede Frau. Aber eben auch nicht jeder Mann. In meinem Bekanntenkreis fallen mir auf Anhieb mehrere Frauen ein, die richtig viel Kraft haben. Und genauso viele Männer, deren Stärken wahrscheinlich woanders liegen.
Deshalb finde ich es albern, in Jobfragen auf das Geschlecht zu schauen. Es geht darum, was mich interessiert und wo meine individuellen Stärken und Talente liegen. Ich hoffe, dass sich Mädchen und Frauen von Sprüchen wie „Das ist nichts für Frauen!“ nicht entmutigen lassen. Und den Weg einschlagen, den sie für richtig halten. Dann ist es hoffentlich in ein paar Jahren auch keine Doku mehr wert, wenn eine Frau auf dem Bau arbeitet. Sondern ganz normal.