Anna-Marleen
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Montag, 03. August 2020
Meine Kollegin und ich stehen in der Büroküche und warten ungeduldig auf den ersten Morgenkaffee. Doch der super moderne Kaffeevollautomat rückt keinen raus. Das ist irgendwie immer so. Erstmal Wasser oder Bohnen nachfüllen oder Tresterbehälter leeren. Dann erst kommt der Kaffee. Dieser hochmoderne Kaffeevollautomat mit seinen ständigen Wünschen – es ist ein bisschen so, als würde er uns beherrschen. Dabei sollte es doch eigentlich umgekehrt sein.
Das seltsame Gefühl, von Technikgeräten beherrscht zu werden, habe ich öfter. Am schlimmsten ist es mit meinem Handy. Das hat mit seinen vielen Whatsappnachrichten so viel Macht über mich, dass ich mich manchmal überhaupt nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren kann.
Ich habe mal irgendwo einen Satz gelesen, der diese Erfahrung, finde ich, gut zusammenfasst: Alle Dinge, die du hast, haben irgendwann dich. Ob Kaffeevollautomat oder Handy – aus eigentlich nützlichem Technikzeugs können richtige Zeitfresser werden.
Aber ob das passiert, das liegt zum Glück immer noch in meiner Hand. Mein Handy lege ich jetzt z.B. immer in einen anderen Raum, bevor ich mit dem Arbeiten anfange. Und auch wenn im Büro immer noch der tyrannische Kaffeevollautomat steht, zu Hause trinke ich Filterkaffee. Ob Dinge über mich Macht haben und wieviel, das entscheide immer noch ich.
Anna-Marleen
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Samstag, 25. Juli 2020
Was ist eigentlich dein Beruf? Über diese Frage bin ich letztens gestolpert.
Es ging um ein Zitat von Marc Aurel, einem römischen Kaiser vor fast 2000 Jahren. Marc Aurel schreibt: „Dein Beruf ist es, ein guter Mensch zu sein.“
Beruflich ein guter Mensch sein…Dieser Satz hat mich nachdenklich gemacht.
Bei Beruf denke ich ja eigentlich zuerst an meine Arbeit, also das, womit ich mein Geld verdiene. Ich arbeite als Theologin für die Kirche, das ist mein Beruf. Und Marc Aurel war von Beruf römischer Kaiser. Wenn man beruflich ein guter Mensch sein soll, habe ich dann zwei Berufe? Und wie verhalten die sich zueinander? Dass ich von 9 bis 17 Uhr Theologin bin und danach mit meinem Zweitjob anfange, ein guter Mensch zu sein – das kann ich mir irgendwie schwer vorstellen.
Ich glaube, so hat das Marc Aurel auch nicht gemeint, sondern:
Mein eigentlicher und wichtigster Beruf ist es, immer und überall ein guter Mensch zu sein. Also z.B. nicht nur an mich zu denken, sondern anderen zu helfen. Verständnis zu zeigen, geduldig zu sein und mich einzubringen, mit dem, was ich kann. Mein Gut-sein ist dabei nicht an Arbeitszeiten gebunden. Wenn ich als Theologin für die Kirche arbeite, wenn ich mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen bin, sogar wenn ich in den Urlaub fahre – als guter Mensch bin ich immer im Dienst. Gut zu sein, egal, was ich tue – das ist mein Beruf.
Anna-Marleen
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Freitag, 24. Juli 2020
Mein Herz rast und ich kämpfe mit den Tränen. Ich könnte schreien! Erstmal tief durchatmen. Doch das fällt mir grade ganz schön schwer. Ich bin so wütend, dass ich fast platze.
Ich bin in der Stadt und habe aus Versehen so blöd geparkt, dass ein Anwohner nicht richtig aus seiner Garage gekommen ist. Ich stelle das natürlich erst fest, als ich 10 Minuten später zurück bei meinem Auto bin und der Anwohner da schon wütend auf mich wartet. Ich entschuldige mich sofort, war ja mein Fehler. Aber das Entschuldigungs-Rezept wirkt offenbar nicht; der Mann flippt richtig aus. Brüllt mich an, was ich mir erlauben würde, er müsse zur Arbeit, eine Unverschämtheit, da könne ich mich auf was gefasst machen usw.
Egal wie sehr ich die Dosis erhöhe, der Mann ist richtig immun gegen meine Entschuldigungen. Und nicht nur das, er steckt mich mit seiner Wut sogar richtig an.
Anschließend bin ich sauer auf uns beide. Für die Zukunft nehme ich mir vor, solche Ansteckungsgefahren zu meiden und wenn es nicht anders geht, zumindest schnell für Sicherheitsabstand zu sorgen. Denn eines will ich ganz sicher nicht: Die Wut von solchen Leuten selbst kriegen und dann auch noch weiterverbreiten.
Anna-Marleen
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Donnerstag, 23. Juli 2020
Ich glaube an Gott. Nicht an einen Gott, der weit über mir auf einer weißen Wolke schwebt und sich das Treiben auf der Erde aus sicherer Distanz anguckt. Sondern ich glaube an einen Gott, der ansprechbar ist und mit meinem Leben und dieser Welt wirklich etwas zu tun hat. Gott kennt mich und er hört mir zu. Deshalb bete ich zu ihm.
Aber was bringt beten überhaupt?
Auf den ersten Blick nicht viel. Zum Beispiel wenn ich Gott um etwas bitte, etwa um Erfolg beim Bewerbungsgespräch. Und das läuft dann nicht so gut. Manchmal kommt es mir dann so vor, als hätte Gott mir nicht zugehört.
Dabei fällt mir auf: Ich bete oft so, als würde ich eine Onlinebestellung aufgeben. Und wenn Gott sich dann nicht an die Lieferzeit hält oder sogar noch das Falsche liefert, bin ich enttäuscht.
Aber ein Gebet ist keine Bestellung, die ich in den Himmel schicke und Gott ist kein Versandhändler, den ich mit meinen Gebeten irgendwie dazu bringen kann, mir meine Wünsche zu erfüllen. Vielleicht geht es beim Beten nicht darum, dass ich Gott verändere, sondern mein Beten verändert mich: Ich lerne mich selbst und meine Wünsche besser kennen. Und dadurch dann auch Gott.
Anna-Marleen
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Mittwoch, 22. Juli 2020
Als Christin ist mir mein Glaube total wichtig, denn er verbindet mich mit Gott und meinen Mitmenschen. Darum geht’s nämlich im Christentum: Gott und die Menschen zu lieben. Und dazu gehört für mich auch in den Gottesdienst zu gehen.
Wenn ich aber sonntags in die Kirche gehe, dann wundere ich mich ehrlich gesagt schon ein bisschen. Lahme Predigt, lahme Musik. Die Leute singen schief und nach dem Gottesdienst wird draußen auf dem Kirchplatz auch noch übereinander gelästert. Irgendwie schäbig. Und ich frage mich, ob die Kirche für mich und meinen Glauben eigentlich der richtige Ort ist.
Plötzlich fällt mir auf, in welche Falle ich grade getappt bin: Ich bin mir mit meinem Glauben zu fein für die Menschen um mich herum. Für mein ideales Christentum ist mir die konkrete Kirche vor Ort manchmal einfach zu real.
Aber so wie sich die Liebe nicht in den Flitterwochen, sondern im Alltag beweisen muss, so ist es auch mit meinem christlichen Glauben. Die Kirche in meinem Ort mit all den Menschen ist sozusagen der Ernstfall meines Christseins.
Das Schöne ist, dass ich mich sonntags in der Kirche eigentlich einfach nur mal kurz umschauen muss: Dann kann ich Menschen sehen, die aus demselben Grund da sind wie ich: Um Gott und die Menschen zu lieben. Und für die der Gottesdienst da auch dazugehört. Das versöhnt mich mit ihrem schiefen Gesang – ich kann ihn mittlerweile sogar schon fast genießen.
Anna-Marleen
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Samstag, 11. Juli 2020
Den Film „Sieben“ hab ich bestimmt zwanzig Mal gesehen. Der spannende und ziemlich gruselige Psychothriller mit Morgan Freeman und Brad Pitt heißt so, weil es dort u.a. um die sieben Todsünden geht. Also sowas wie Habgier, Zorn, Maßlosigkeit und Neid.
Was mit dem Begriff der „Todsünde“ eigentlich gemeint ist, wird in dem Film nicht so genau erklärt, ist aber fast genauso spannend.
Todsünde meint nämlich erstmal überhaupt keine schlechte oder verbotene Sache, die man tun kann. Interessanterweise bezieht sich das Wort Todsünde auf die innere Haltung eines Menschen, also die Gedanken und Gefühle, die hinter seinen Handlungen stecken: Die Absicht, mit der er etwas tut. In diesem Sinne ist z.B. Mord erstmal keine Todsünde. Wenn ich aber jemanden umbringe, weil ich sein Geld haben will. Das wäre eine.
Als ich mich mit diesem Thema beschäftigt habe, ist mir aufgefallen: Mit welchem Motiv jemand etwas tut, ist für mich von außen ja gar nicht sichtbar. Ich sollte also ganz schön vorsichtig damit sein, andere Menschen und das, was sie tun, zu verurteilen. Denn ich weiß ja nicht, warum sie das getan haben. Was ich aber um so mehr tun kann ist, den Blick auf mich selbst zu richten und mich und meine Motive zu überprüfen. Anstatt mir Vorurteile über Andere zu erlauben, also lieber mal vor meiner eigenen Haustür kehren. Denn nur von mir selbst weiß ich, welche Absichten ich tatsächlich habe.
Anna-Marleen
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Dienstag, 07. Juli 2020
Ich komme zur Arbeit, heute ist Teamsitzung. Kollegen und Chef sitzen am runden Tisch, die Tagesordnung für heute ist lang. Schon als ich ankomme sind alle angespannt und genervt. Wir kommen nicht wirklich voran, die Kommunikation ist gleichzeitig zäh und anstrengend und irgendwie herrscht dicke Luft. Schon nach 10 Minuten bin ich frustriert und will am liebsten wieder nach Hause. Die ganze Stimmung färbt auf mich ab. Färbt ab?
Komisch, dass man sagt, man könnte die Farbe einer Situation annehmen. Das will ich ja gar nicht! Und trotzdem ist es ratz fatz passiert: Ich fühle mich genauso frustriert und angespannt wie unsere Teamsitzung. Meine Farbe ist sozusagen ziemlich dunkel.
Aber wenn die Situation auf mich abfärben kann, dann muss das ja auch umgekehrt möglich sein.
Bevor ich in den Konferenzraum reinkam, war meine Farbe nämlich noch anders, richtig hell, entspannt und gut gelaunt. Wenn die Teamsitzung meine Farbe angenommen hätte statt umgekehrt – dann wären wir jetzt alle gut drauf.
Auf so einen zähen Brocken wie dieses Meeting positiv abzufärben ist natürlich nicht so einfach. Aber ich bin mir sicher, dass ich mit guter Stimmung zumindest ein paar Farbkleckse setzen kann. Statt unter einer blöden Atmosphäre nur zu leiden, will ich zukünftig versuchen, ein Farbgewinn zu sein.
Anna-Marleen
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Donnerstag, 14. Mai 2020
Es sind oft die ganz alltäglichen Dinge, für die ich wirklich dankbar bin. Zum Beispiel, wenn ich nach einem stressigen Tag spät nach Hause komme und sehe, dass mein Freund schon den ganzen Haushaltskram erledigt hat. Für mich ist klar: das ist nicht selbstverständlich. Deshalb vergesse ich auch fast nie, meinem Freund dafür danke zu sagen. Aber während ich bei meinem Freund und auch anderen Leuten eigentlich immer darauf achte, mich zu bedanken, gibt es eine Person, bei der ich das ziemlich selten getan habe – und das ist ausgerechnet meine Mama.
Eigentlich unglaublich: Meine Mutter hat mir bis ich groß war, bestimmt Tausende von Mahlzeiten gekocht, mich hunderte Male getröstet und dafür gesorgt, dass ich gut aufwachsen kann.
Klar, ein paar Mal habe ich mich dafür bestimmt bedankt. Aber grundsätzlich bin ich all die Jahre davon ausgegangen, dass das ja irgendwie auch ihr Job ist: Meine Mutter zu sein. All die großen und kleinen Dinge, die sie in zwei Jahrzehnten für mich geleistet hat, waren für mich deshalb selbstverständlich.
So zu denken, als hätte man einen Anspruch auf das, was eine Mutter für einen tut, ist für Kinder vermutlich auch ganz normal. Und trotzdem: Nichts von dem, was meine Mutter für mich getan hat, war und ist selbstverständlich. Klar, jetzt war am Sonntag Muttertag. Aber manchmal braucht man halt einen äußeren Anlass. Deshalb von ganzem Herzen: Danke!
Anna-Marleen
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Dienstag, 31. März 2020
Meine beiden Schwestern sind die tapfersten Menschen, die ich kenne. Sie haben beide kleine Kinder. Ich kriege regelmäßig niedliche Fotos und Videos von den Kids geschickt.
Aber das sind nur Momentaufnahmen. Babys und kleine Kinder sitzen in der Regel nicht einfach brav irgendwo rum und machen niedliche Sachen. Sie sind ständig auf Hilfe angewiesen. Sie schreien. Sie werden nachts wach. Sie werden krank. Schreien dann noch öfter. Davon gibt es keine süßen Videos. Denn dann müssen meine Schwestern nachts tausendmal aufstehen, beruhigen und trösten. Den ganzen nächsten Tag trotzdem fit sein, Streit schlichten, in den Arm nehmen und geduldig sein.
Meine Schwestern schaffen das. Zusammen mit ihren Partnern. Aber es gibt keine Firma, die sie dafür lobt oder ihnen einen extra Bonus gibt.
Eine meiner Schwestern geht zusätzlich noch arbeiten, die andere nicht. Aber beide müssen dazu immer wieder mal kritische Kommentare von Leuten einstecken, die das eigentlich überhaupt nix angeht.
Meine Schwestern lassen sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Sie ziehen ihr Ding durch. Und sie machen das nicht für irgendwas oder irgendwen, sondern für sich und ihre Familie. Ich kenne sonst niemanden, der in seinem Leben so ein Standing hat. Meine beiden Schwestern sind die tapfersten Menschen, die ich kenne. Weil sie trotz aller Widerstände grade für die, die sie brauchen, richtig starke Frauen sind.
Anna-Marleen
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Sonntag, 22. März 2020
Kevin hat 23 Persönlichkeiten. Um ihn geht es in dem Film Split. Kevin hat eine multiple Persönlichkeitsstörung und die vielen Personen, die in ihm wohnen, sind teilweise ganz schön unterschiedlich. Manchmal ist Kevin z.B. ein kleiner, verspielter Junge, dann wieder eine strenge ältere Frau.
Es gibt in Kevin auch Persönlichkeiten, die nicht besonders sympathisch, sogar gefährlich sind. Aber sie alle sind da, um Kevin zu beschützen und eine bestimmte Funktion in seinem Leben zu erfüllen.
Auch wenn ich keine multiple Persönlichkeitsstörung wie Kevin habe – ich erlebe doch oft sehr unterschiedliche Seiten an mir. Und manche dieser Anna-Seiten kann ich nicht besonders gut leiden. Z.B. die Sorgen-Anna, die sich viele Gedanken macht, anstatt selbstbewusst und entschlossen durchs Leben zu gehen. Oder die Panik-Anna, die sich leicht erschreckt und dann kopflos wird, anstatt cool zu bleiben.
Aber was wäre, wenn ich diese Seite von mir mal nicht nur genervt, sondern freundlich in den Blick nehmen würde? Dann könnte ich mich z.B. fragen, welche Funktion die Sorgen-Anna hat, warum sie da ist und ob sie mich vielleicht sogar beschützt? Der Film hat mich dazu gebracht, auch meine schwierigen Seiten besser kennen zu lernen. Das ist anstrengend, überraschend. Manchmal erschreckend, aber auf jeden Fall lohnt es sich.