Ich muss immer noch dran denken, dass es letztes Jahr im Oktober diesen Anschlag auf eine Synagoge in Halle gegeben hat. Es war Jom Kippur, also ein jüdischer Festtag. Der Attentäter ist Antisemit; er wollte so viele Jüdinnen und Juden wie möglich umbringen. Ich weiß noch, wie geschockt ich gewesen bin, als ich davon gehört habe. (Ich hab so etwas nicht für möglich gehalten.) Ich hab wirklich geglaubt, dass in Deutschland niemand mehr so antisemitisch eingestellt ist und bereit, so eine Tat zu begehen. Und ich habe damit absolut falsch gelegen. Der Anschlag beschäftigt mich immer noch. Und ich finde das richtig, weil ich glaube, dass ein paar Tage Empörung nicht reichen. Vor allem als Christin fühle ich mich verantwortlich. Die christlichen Kirchen haben in ihrer Geschichte den Hass gegen Juden geschürt und sich damit schuldig gemacht. Und das obwohl mein christlicher Glaube ohne das Judentum undenkbar ist. Christsein ohne jüdische Wurzeln; das geht nicht. Jesus selbst war schließlich Jude. Der Gott, den er verkündet hat, ist kein anderer als der, zu dem das Volk Israel gebetet hat. An den Juden und Christen glauben. Deshalb gilt für mich: Ich kann nicht Christin sein, ohne mich dafür einzusetzen, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland angstfrei leben können. Dafür reicht es nicht, den Anschlag von Halle zu verurteilen. Es geht auch darum, dass ich im Alltag aufmerksam bin und nicht still bleibe, wenn jemand judenfeindliche Kommentare abgibt. Und ich will das Leben von Jüdinnen und Juden heute kennenlernen: Die Synagoge in meinem Stadtteil besuchen und mit den Menschen dort sprechen. Damit uns nicht nur verbindet, dass wir an denselben Gott glauben, sondern wir auch in der Gegenwart miteinander leben.

 

 

Quelle: https://www.kreuzquer.info/?id=4547