Letzte Woche habe ich eine Ausstellung besucht. Sie heißt „Schubladen“. Ausgestellt sind da aber keine Schubladen, sondern Portraits von ganz verschiedenen Menschen. Als Besucher geht man mit einem Formular durch die Ausstellung und kann für jeden fotografierten Menschen zwischen vier Zuordnungen – oder eben gedanklichen „Schubladen“ – wählen, die unter dem Bild stehen. Zum Beispiel hätte unter dem Bild von einem Mann, stehen können: a) Professor für Geschichte b) Schreiner c) Künstler oder d) arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Natürlich ist nur jeweils eine Zuordnung richtig.
Ich bin mit einem der Formulare durch die Ausstellung gegangen und hab gedacht: Naja, mit ein bisschen Menschenkenntnis bekomme ich das schon hin. Aber da habe ich mich wirklich getäuscht. Ich hab da zwar völlig verschiedene Zuordnungen gelesen, wie dass eine Frau entweder Top-Anwältin ist oder eine psychische Beeinträchtigung hat. Aber als ich in die Gesichter geschaut habe, hab ich gedacht: Es könnte alles sein. Und auch dort, wo ich mir vermeintlich sicher gewesen bin, habe ich meistens komplett daneben gelegen.
Diesen Gedanken der Ausstellung – zu zeigen, dass ich mit meinen Einschätzungen von Menschen häufig falsch liege – finde ich auch für meinen Alltag wichtig. Wahrscheinlich ist es normal, dass ich in Schubladen denke. Das ist menschlich und ohne Schubladen wäre ich überhaupt nicht in der Lage irgendetwas einzuordnen. Aber ich muss mir immer bewusst sein, dass ich wohlmöglich falsch liege und die Schubladen offenhalten.

 

 

Quelle: https://www.kreuzquer.info/?id=4208