Ich beobachte in der Fußgängerzone ein kleines Kind. Es hat eine Brezel in der Hand und läuft noch etwas tapsig. Es schaut einen Obdachlosen an, der auf einer alten Matratze vor einem Kaufhaus sitzt. Ohne zu zögern lässt sich das Kind neben den Mann plumpsen und hält ihm seine Brezel hin. Bevor der Mann reagieren kann, reißt die Mutter das Kind wieder weg.
Für mich ist diese Szene so eine Art Schlüsselszene. Ich frage mich, wann ich zuletzt jemandem so begegnet bin? Das Kind sieht nicht, dass der Mann obdachlos ist, es sieht einfach einen Menschen – einen Spielkameraden. Und geht auf ihn zu.
Was ich da gesehen habe, ist eigentlich der Kern der christlichen Nächstenliebe. Das Kind sucht die Nähe zu diesem Mann, ist bereit zu teilen, ohne diesen Menschen zu kennen. Es sieht keinen gesellschaftlichen Unterschied. Das Kind sieht in jeder Personen einfach nur einen Menschen.
Ich habe mich zwar auch nicht neben den Bettler gesetzt, um mit ihm zu quatschen. Aber ich fühle mich ertappt. Denn ich erkenne wieder einmal, wie anspruchsvoll es ist, den christlichen Glauben wirklich auch zu leben. Eben den Blick auf die anderen zu richten, bereit sein, mit dem Nötigsten auszukommen und bedingungslos zu teilen. Eben weil der Obdachlose ein Mensch ist. Er lebt vielleicht anders, aber hat die selben Sehnsüchte und Wünsche wie ich.

 

 

Quelle: https://www.kreuzquer.info/?id=3514